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Es war mein viertes Nick Cave Konzert, und selten war ich so gespannt wie diesmal. Nach einem dramatischen Schicksalsschlag legte der australische Düsterpoet mit Skeleton Tree ein schmerzhaft berührendes, ruhiges Album vor, in dem er den Tod seines Sohnes musikalisch verarbeitete. Diese Songs standen auch im Zentrum der aktuellen Tournee, und so wurde der Abend in der Escher Rockhal zu einem enorm intensiven, mitreißenden Gesamterlebnis.

Nick Cave & The Bad Seeds, Rockhal Esch/Alzette, 10. Oktober 2017

Nick Cave & The Bad Seeds @ Rockhal

Zur Inszenierung passte, dass man auf einen Supportact komplett verzichtete, und die Halle schon eine Stunde vor Beginn mit sphärisch-dunklen Tönen beschallte. Und der Konzertabend begann mit gleich drei Liedern von Skeleton Tree, in dem die Bad Seeds sich weitestgehend zurücknahmen, und die schmerzhafte Trauerarbeit von Nick Cave im Mittelpunkt stand. Die gewohnt großartige Akustik in der Rockhal ermöglichte es, jedes einzelne Wort erfassen zu können, was mehr als einmal Gänsehautmomente auslöste. Überhaupt kenne ich kaum einen Künstler, der mit einer derartigen Bühnenpräsenz und enormen Charisma die Blicke wie gebannt auf sich zu ziehen vermag, während die Ausnahmemusiker hinter ihm präzise wie ein Uhrwerk für die brillante musikalische Untermalung sorgen.

Nick Cave & The Bad Seeds, Rockhal Esch/Alzette, 10. Oktober 2017

Nick Cave & The Bad Seeds @ Rockhal

Angeführt von Cave’s altem Weggefährten Warren Ellis entfalteten die Bad Seeds beim Higgs Boson Blues zum ersten Mal ihre brachiale Kraft. Selbst in den ruhigen Momenten hat man stets das Gefühl, dass ein musikalischer Ausbruch kurz bevorsteht. Im kakophonischen Lärmexzess von From Here to Eternity zeigt sich, dass Lärm, Chaos und Struktur sich keinesfalls ausschließen. Der in Tupelo thematisierte Sturm wird durch die Musik geradezu unmittelbar spürbar, unterstützt durch düstere schwarz-weiß Bilder auf der Leinwand. Überhaupt fügen sich die Videosequenzen gut in das Konzerterlebnis ein, werden sie doch nur sporadisch und sehr zurückhaltend eingesetzt und zeigen meist Nick Cave selbst, der erstaunlich häufig den Körperkontakt zum Publikum suchte. Zum ersten Mal wurde mir das beim Auftritt 2013 an gleicher Stelle bewusst, denn auch dort begab er sich immer wieder direkt in die ersten Reihen, was er auf früheren Konzerten die ich besuchte eigentlich nie in dieser Form gemacht hatte. Doch diesmal war der vordergründig so düster wirkende Gentleman auf richtigem Kuschelkurs, sehr zur Freude vor allem seiner weiblichen Anhänger.

Nick Cave & The Bad Seeds, Rockhal Esch/Alzette, 10. Oktober 2017

Nick Cave & The Bad Seeds @ Rockhal

Nach dem großartigen Jubilee Street folgten mit einer getragenen Version des Ship Song und dem ebenso besinnlichen Into My Arms zwei Klassiker, bevor es mit Lieder von Skeleton Tree weiterging. Girl in Amber und I Need You sorgten für atemlose Stille im Raum, die ganz eigene Kraft dieses Albums erschloss sich mir erst richtig bei der Livedarbietung der Stücke, mit dem Album selbst habe ich mich bislang recht schwergetan. Das Tempo wurde danach wieder deutlich angezogen und mit Red Right Hand und dem Mercy Seat wurden zwei meiner absoluten Favoriten dargeboten. Vor allem der Mercy Seat ist live immer ein absolutes Ereignis, der sich typischen Songstrukturen konsequent verweigert und mit der stetigen Steigerung des Tempos eine ungemein fesselnde Atmosphäre zu erzeugen vermag.

Nick Cave & The Bad Seeds, Rockhal Esch/Alzette, 10. Oktober 2017

Nick Cave & The Bad Seeds @ Rockhal

Für Distant Sky wurde die dänische Sängerin Else Torp über die Videowall eingeblendet, wodurch man den Song von Platte geradezu genial auf die Bühne übertragen hatte. Nach gut zwei Stunden endete dann mit Skeleton Tree der reguläre Teil des Konzerts, doch es war klar, dass das noch nicht alles gewesen sein konnte. Den Anfang machte der Weeping Song, der mich diesmal aber nicht so richtig zu packen vermochte. Das änderte sich mit Stagger Lee, wobei sich einige sehr glückliche Menschen unversehens auf der Bühne wiederfanden und zum ziemlichen Missfallen des Meisters erst einmal unzählige Fotos machten.

Nick Cave & The Bad Seeds, Rockhal Esch/Alzette, 10. Oktober 2017

Nick Cave & The Bad Seeds @ Rockhal

Satte zweieinhalb Stunden dauerte ein Konzert, das ich sicher so schnell nicht vergessen werde. Es war schlichtweg unglaublich, wie Nick Cave getragen von seiner fantastischen Band die Emotionen und die Tiefe von Skeleton Tree auf die Bühne brachte. Die neuen Songs waren sehr zu meiner Überraschung für mich das Highlight dieses Konzerts, das ansonsten natürlich in gewohnter Kraft und manchmal brachialer Gewalt einige der großen Klassiker bot. Das Konzert endete mit Push the Sky Away und Textzeilen, die das Erlebte bestens zusammenfassen:

And some people say it’s just rock and roll, Oh but it gets you right down to your soul

Weitere Konzertreviews gibt es hier!

Nick Cave & The Bad Seeds, Rockhal Esch/Alzette, 10. Oktober 2017

Nick Cave & The Bad Seeds @ Rockhal

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