Ich hatte vor meinem Besuch in der Escher Rockhal schon ein wenig Angst, Angst, dass mit den Sisters of Mercy eine der wichtigsten Bands für meine musikalische Entwicklung und ein Mythos sondergleichen ihr Andenken auf der Bühne mit Schwung einreißen würde. Und die Angst war nicht unbegründet…
Lange hatte mich davor gedrückt mir Karten zu besorgen, zu viel Schlechtes war über die Auftritte der Band in den letzten Jahren berichtet worden. Durch einen Zufall und etwas Losglück bei hunderttausend.de fielen mir dann doch zwei Karten in die Hände, nun gab es keine Ausreden mehr.
Als kleiner Schüler mit extrem spießigen Schulranzen gerade aufs Gymnasium gekommen, blickte ich mit großen Augen auf die „Großen“, die coole Rucksäcke lässig über der Schulter trugen, und auf denen mancher mit Edding den Schriftzug der Sisters of Mercy verewigt hatte, die ich damals wohl wirklich noch für Schwestern gehalten habe. Wenige Jahre später traute ich mich in den frühen 90ern dann in die ersten Discos, wo Temple of Love oder More zu den Dauerbrennern gehörten. Und auch ohne ein glühender Anhänger gewesen zu sein, trug die Band um Andrew Eldritch wahrscheinlich mehr zur Entwicklung meiner musikalischen Vorlieben bei, als ich dachte.
Können die Rolling Stones bei ihren Konzerten aus einem Fundus von mehreren Hundert Liedern schöpfen, schreibt sich die Setlist in diesem Fall quasi von selbst. Drei Platten haben die Engländer zwischen 1985 und 1990 veröffentlicht, das letzte musikalische Lebenszeichen gab es mit Under the Gun im Jahr 1993, vor fast 25 Jahren. Zwar wurden ab und an einmal neue Songs live gespielt, ein neues Album sprang dabei allerdings nie heraus.
Somit war ich zumindest gespannt, was mich im kleinen Club der Rockhal erwarten würde. Vor der Halle hatte sich bereits eine interessante Mischung aus Gothics, älteren Semestern und interessierten Bänkern zusammengefunden, und ich war etwas überrascht, dass bereits wenige Minuten nach Öffnung der Türen The Membranes ihr Konzert begannen, mit einem Support hatte ich gar nicht gerechnet. Die Band um Sänger John Robb gründete sich in meinem Geburtsjahr 1977, und als ich mich an den eigentümlichen „Tanz“stil von John Robb gewöhnt hatte, entwickelte sich ein durchaus packendes Konzert. Punkige Songs wurden mit geradezu progressiv klingenden Gitarren angereichert, vor allem an den Stellen, in denen sich die Wall of Sound ohne lästige Songstrukturen ausbreiten konnte, war das richtig gut.
Dann also pünktlich um 21:30 Uhr die Sisters. Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich von diesem Abend halten soll. Auf der einen Seite hatte der Abend durchaus etwas von musikalischer Selbstzerstörung (More, Temple of Love), in seinen schwachen Momenten von purer Belanglosigkeit. Aber an einigen Stellen, vor allem bei Dominion/Mother Russia und Lucretia My Reflection, schaffte man es dann doch, eine einzigartige Atmosphäre zu schaffen, die deutlich macht, mit was für einer Ausnahmeband man es hier zu tun hat. The Sisters of Mercy waren schon immer mehr als die Summe ihrer Teile. Das Gesamtwerk wie erwähnt überschaubar, ein paar Songs wurden richtige Hits. Den Mythos kann all dies aber nicht erklären. Die Band lebt von ihren Widersprüchen, der kompletten Verweigerung gegenüber den Regeln des Geschäfts und einer Szene, für die sie selbst die musikalischen Grundlagen legten, Gothrocker wider Willen.
Von der Ursprungsbesetzung ist nur noch Mastermind Andrew Eldritch geblieben, mittlerweile schon seit einer Dekade ergänzt durch die Gitarristen Chris Catalyst und Ben Christo. Und natürlich dem Drumcomputer und unzähligen Samples. Mit More gab es gleich als Opener einen der großen Hits zu hören, der aber grandios versemmelt wurde. Irgendwie hat man es geschafft, die Stimme von Andrew Eldritch trotz der bekannt guten Akustik der Rockhal nahezu unhörbar zu machen, mehr als ein Raunen war nicht zu vernehmen. Das wurde in der Folge zwar soundtechnisch besser, offenbarte aber, dass die markante Stimme des Sängers nur noch ein Schatten ihrer selbst ist. Mit den bekannt minimalen Bewegungen stakste Mr. Eldritch über die Bühne, und auch wenn man nun wirklich kein großes Entertainment oder gar Kommunikation erwartet hätte, wirkte das teilweise schon befremdlich. Chris Catalyst und Ben Christo machten ihre Sache dagegen gut und sammelten Sympathiepunkte, der Gitarrensound war ausgezeichnet und hob sich vom Soundteppich gut ab.
In knapp 80 Minuten wurden immerhin 20 Songs abgearbeitet, neben den genannten Highlights Dominion/Mother Russia und Lucretia My Reflection stachen für mich besonders First and Last and Always und This Corrosion heraus, mit dem das Konzert dann doch einen würdigen Abschluss fand. So freute ich mich am Ende doch, diese Band zumindest einmal in meinem Leben live gesehen zu haben, auch wenn man sie vielleicht besser vor 20 Jahren trotzdem zu Grabe getragen hätte.
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