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Das Jahr 1996 ist für mich eine besonders einschneidende und emotionale Wegmarke. Die Zeit zwischen Abitur und Studienbeginn mit dem damit verbundenen Auszug zu Hause und Umzug nach Trier war eine Zeit der maximalen Freiheit und einer Unbeschwertheit, die niemals mehr so sein sollte, wie in diesen Monaten. Und den Soundtrack dazu lieferte eine Band, die 1996 auf dem Zenit ihrer Schaffenskraft stand: Oasis. Mit „Oasis: Supersonic“ erschien nun eine Doku, die sich dem Aufstieg der Großmäuler aus Manchester zu einer der bedeutendsten Bands Europas widmet. 

© ENTERTAINMENT ONE

Als Oasis im August 1996 mit einem Hubschrauber über den Wiesen von Knebworth in England kreisten und die Menschenmassen unter sich sahen, ahnten sie vielleicht bereits, dass diese beiden Tage den Gipfelpunkt ihrer Karriere darstellen würden, das „höher, schneller, weiter“ hier seinen Endpunkt gefunden hatte. Aber so funktionierte die Band nicht, und so dauerte es noch mehr als zehn Jahre und fünf schwächere bis enttäuschende Alben, bis man im Jahr 2009 die Reißleine zog, und Oasis zu Grabe trug.

Die Doku von Regisseur Mat Whitecross nutzt die heute legendären beiden Abende in Knebworth als Klammer und zeigt mit viel internem Bildmaterial die Frühphase der Band um die Entstehung der beiden Meilensteine Definitely Maybe und [What’s the Story] Morning Glory. Die Magie rund um die Band wurde von Beginn an vom Spannungsverhältnis der beiden so unterschiedlichen Gallagher-Brüder getragen, die beide auch als Co-Produzenten des Films fungieren. Es wäre ein Wunder, wenn sie sich nicht spätestens beim Schnitt wieder an die Gurgel gegangen wären. Da auch ihre Mutter ausführlich zu Wort kommt, erfahren wir einiges über die schwierigen Familienverhältnisse und die Rivalität der beiden Brüder von Kindesbeinen an. Der Einzelgänger Noel zog sich vornehmlich mit Hasch und Gitarre in sein Zimmer zurück, während der extrovertierte Liam den Pausenrowdy an der Schule gab. Die Rollen in der späteren Band waren früh vorgezeichnet.

Zusammen mit Paul „Bonehead“ Arthurs, Bassist Paul „Guigsy“ McGuigan und Schlagzeuger Tony McCaroll spielten die Brüder, wo immer man sie ließ, bis sie bei einem eher zufällig arrangierten Gig in Glasgow von Alan McGee entdeckt und von Creation Records unter Vertrag genommen. Von Beginn an begleitete das Chaos die Band, und man erarbeitete sich schnell den Ruf, eine grandiose, kompromisslose Liveband zu sein. Angetreten, den Rock ’n‘ Roll in einer Zeit wieder zu beleben, in der Techno seinen Höhepunkt hatte, und die Clubs, nicht die Konzerthallen Nabel der Jugendkultur waren, begeisterten Oasis ihre Anhänger, noch bevor überhaupt die erste Platte erschienen war.

Die war dann allerdings gleich ein Kracher und für mich ist Definitely Maybe immer noch das beste Album der Band, auch wenn [What’s the Story] Morning Glory sogar noch größeres Hitpotenzial hatte. Songs wie Supersonic, Rock ’n‘ Roll Star, Cigarettes and Alcohol und das überragende Live Forever verkörpern den rotzigen Spirit einer Band, die nichts anderes wollte, als Rock ’n‘ Roll wieder in die Jugendkultur zu tragen und sich selbst in den Rockolymp zu spielen. Beides sollte ihnen eindrucksvoll gelingen.

Größtes Problem war, den energiegeladenen Livesound irgendwie auf Platte zu packen, was nach mehreren Versuchen tatsächlich halbwegs gelang. Dennoch entfaltete sich die enorme Wucht der Band vor allem auf der Bühne, wie zahlreiche Konzertmitschnitte belegen, und auch der Film hat einige eindrückliche Aufnahmen, vor allem von frühen Auftritten. Man versteht sofort, warum diese Band die Zuschauer ins Mark traf, und ich könnte mir in den Hintern beißen, dass ich Oasis nie live gesehen habe.

Wie es sich für eine Rockband gehört, pflasterten Skandale den Weg von Oasis, und Supersonic hält damit nicht hinter dem Berg. Drogen, zerstörte Hotelzimmer, Schlägereien und eine Assi-Attitüde, die zugleich Traum und Albtraum eines jeden Managers sein musste. Deutlich wird aber auch, dass sich die Hierarchie in der Band schon nach dem ersten Album verschob. Standen die anderen Bandmitglieder von jeher im Schatten der charismatischen Gallagher-Brüder, so beanspruchte der alleinige Songwriter Noel immer mehr den Führungsanspruch innerhalb der Band. Und spätestens als Noel auch immer wieder den Gesang übernahm, dürfte es Liam gedämmert haben, dass Oasis ohne ihn funktionieren würden, ohne Noel und sein Talent, meist simple, aber geniale Songs zu schreiben, aber ganz sicher nicht.

Vollkommen ausgeblendet wird dagegen die zeitweise die Medien beherrschende Rivalität mit Blur, die im gleichzeitigen Erscheinen der Singles Roll with It und Country House gipfelte. Ansonsten zeigt sich die Band ungeschminkt, scharf auf Sympathiepunkte war man offenbar eh noch nie. So wird Supersonic zu einer kurzweiligen Dokumentation über eine große Band, und wie sie letztendlich an sich und den Mechanismen der Musikindustrie scheiterte. Die synchronisierte Fassung tut sich dabei sehr schwer, dem Humor und der Attitüde der Band gerecht zu werden, und leistet sich ein paar arge Schnitzer (ich sage nur Life Forever). Aber es gibt ja auch die Originaltonspur, daher ist Supersonic auf alle Fälle sehenswert!

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