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Für einen tagesaktuellen Spielbericht ist es schon etwas spät, dennoch möchte ich noch gerne über eines der ungewöhnlichsten Fußballspiele berichten, das ich bislang sehen konnte. An ein Zweitligaspiel hat man ja gewisse Erwartungshaltungen, die aber in diesem Fall von Beginn an über den Haufen geworfen wurden. Poli Timisoara ist ein besonderer Verein, von Fans geführt und Erbe einer verrückten Geschichte.

Stadion Stiinta Timisoara

Stadion Stiinta Timisoara

Als Fan der TuS Koblenz ist man ja einiges an Chaos gewohnt, aber das ist alles nichts gegen das, was der Fußball im rumänischen Timisoara, deutsch Temeswar, in den vergangenen Jahrzehnten mitmachen musste. Hier nur die Kurzfassung, für weitergehende Infos empfehle ich diesen Artikel des von mir hochgeschätzten Jonathan Wilson.

Politehnica Timisoara

Politehnica Timisoara

Im Jahr 2000 hatte der italienische Besitzer des Traditionsvereins und zweimaligen Pokalsiegers Politehnica Timișoara die überaus dämliche Idee, dass man Zuschauerschnitt und Erfolg durch einen Umzug in die Hauptstadt Bukarest auf ein neues Level heben könnte, was erwartungsgemäß komplett nach hinten losging. Um die Absurdität zu steigern, entschied sich zwei Jahre später ein Verein aus Bukarest, das Vakuum in Temeswar zu schließen und zog seinerseits unter dem Namen Politehnica AEK Timisoara um. Dieser Umzug war ein voller Erfolg, der Verein wurde als Vertreter der Stadt angenommen, berief sich auf die Tradition des Heimatvereins und spielte auch in denselben Farben. All dies blieb nicht unbeantwortet, der Verein wurde verklagt und ihm wurde untersagt, die Tradition auf die eigenen Fahnen zu schreiben. Letztendlich gab es sogar noch einen Punktabzug wegen Tricksereien bei der Umgestaltung des Wappens usw. Letztendlich setzte man sich allerdings durch und der Verein spielt heute bei recht großem Zuschauerinteresse in den Traditionsfarben wieder in der ersten Liga im großen Dan-Păltinișanu-Stadion.

Politehnica Timisoara

Politehnica Timisoara

Doch nicht alle Anhänger folgten dem neuen Verein. Frustriert von den Ränkespielen tat man, was heute in einigen Vereinen zu beobachten ist, und so unterstützten einige einen unterklassigen Verein, aus dem heraus man einen eigenen, fangeführten Verein nun bis in die zweite Liga führen konnte. Der eigenen Herkunft bewusst spielt man im kleinen Stadion Stiinta, das sich auf dem Gelände der Polytechnischen Universität befindet.  Statt eines Kassenhäuschens steht irgendwo ein Tisch, wo man bei zwei jungen Damen eine Karte für etwas mehr als 2 Euro erwerben kann, hätte ich es nicht gemacht, hätte wohl auch niemand was gesagt. Sicherheitskontrollen gab es keine und ich beschloss, mich auf der Gegengeraden zu positionieren, wo es zwei kleine, selbst gebastelte Tribünen gab, und von wo aus ich einen hervorragenden Blick auf die Ultras hatte, die auf der anderen Seite bereits begannen, ihre Fahnen aufzuhängen.

Politehnica Timisoara

Politehnica Timisoara

Poli tat sich erwartungsgemäß von Beginn an schwer in der neuen Liga und auch gegen Olimpia Statu Mare war man von der Tabelle her Außenseiter. Und es fing auch übel an. Einen harmlosen Ball konnte der vor allem in der ersten Halbzeit furchtbar unsichere Heimtorwart nicht festhalten und so stand es schon nach wenigen Minuten 1:0 für den Gast. Poli war sichtlich angeschlagen und brauchte einige Zeit, bis man sich von dem Schock erholte. Olimpia war in der ersten Halbzeit die klar bessere Mannschaft, aber bis auf die ein oder andere Einlage des bemitleidenswerten Torwarts kam auch der Favorit zu keinen größeren Chancen. So plätscherte das Spiel dahin, man muss aber auch sagen, dass der tiefe Boden ein strukturiertes Spiel nahezu unmöglich machte.

Das Spiel wurde zunehmend unruhig und kurz vor der Pause musste Poli nach einer etwas unübersichtlichen Situation sogar noch einen Platzverweis hinnehmen. Dennoch (oder gerade deshalb) kam man wie verwandelt aus der Kabine und warf die Fußball-Primärtugenden in die Waagschale. Es wurde gerackert wie verrückt, und man wurde für den überragenden Einsatz belohnt. In der 51. Minute schlug ein perfekt getretener Freistoß von halblinks im langen Eck ein, und die Fans flippten aus. Überhaupt lieferte man in Sachen Support eine Galavorstellung ab. Von der ersten Minute an wurde abwechslungsreich gesungen und unterstützt, in der aufregenden zweiten Halbzeit wurde auch der Pöbelfaktor deutlich erhöht. Ich verstand natürlich kein Wort, aber die Rumänen neben mir lachten sich kaputt. Insgesamt sorgten etwa 1.000 Zuschauer auf einem an eine Bezirkssportanlage erinnernden Ground für eine sehr geile Atmosphäre. Wo die Ultras politisch stehen, will ich nicht beurteilen, die prominent platzierte rote Flagge mit Keltenkreuz gab mir aber schon zu denken.

Beide Mannschaften schenkten sich nun nichts und am Ende hatten beide die große Chance zum Sieg. Olimpia mit einem Pfostenschuss und ein Angriff von Poli kurz vor Schluss konnte gerade noch so von der Linie gekratzt werden. So blieb es beim 1:1, die in Scharen von Krämpfen geplagten Spieler waren sicher froh, dass die Tortur endlich vorbei war. Der letztendlich verdiente Punktgewinn wurde gefeiert wie ein Sieg und scheint tatsächlich so etwas wie eine Initialzündung gewesen zu sein. Die folgenden beiden Spiele konnten gewonnen werden, und so belegt man derzeit Platz 15 in einer aus 20 Mannschaften bestehenden Liga, was den Klassenerhalt bedeuten würde. Ich drücke die Daumen!

Stadion Stiinta Timisoara

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