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Auch wenn ich das Meer liebe, bin ich nun wahrlich kein Seebär und Kapitän Schwandt würde mich, hoffentlich augenzwinkernd, vielleicht sogar als „Bürohengst“ bezeichnen. Doch seine von Stefan Kruecken in Wort und Form gebrachte Biografie „Sturmwarnung“, vor einiger Zeit im Ankerherz Verlag erschienen, hat mich wirklich gefesselt. Offen und manchmal entwaffnend ehrlich berichtet der heute Achtzigjährige über sein Leben und eine Epoche der Seefahrt, die zwar erst einige Jahrzehnte zurückliegt, in Zeiten von Satellitenüberwachung und Technisierung aber wie aus der Zeit gefallen zu sein scheint. Aber es bietet noch mehr und ist hochaktuell.

"Das Meer ist mein Zuhause."

„Das Meer ist mein Zuhause.“

Es handelt davon, wie man sich anderen Menschen gegenüber korrekt verhält, ohne dafür ein Gesetzbuch oder eine Bibel zu benötigen: Empathie für Außenseiter, Renitenz gegen falsche Autoritäten, Standhaftigkeit für die eigenen Prinzipien. (Stefan Kruecken im Nachwort von Sturmwarnung‘)

Der knorrige Hamburger Jürgen Schwandt ist mir zuerst auf Facebook begegnet. Seine eigene Seite hat mittlerweile über 140.000 Likes, um Seemannsgarn geht es dort allerdings meist nicht. Kapitän Schwandt zeigt dort klare Kante für die Menschlichkeit und gegen Fremdenhass, Alltagsrassismus und die AfD, was ihm, neben einer großen Anhängerschaft, manchmal nichts als den blanken Hass der politischen Gegner verschafft. Es ist wirklich beachtlich, wie sehr sich Schwandt dabei selbst um die Diskussionskultur auf seiner Seite kümmert, mittlerweile unterstützt vom Ankerherz-Team, doch immer präsent und diskussionsfreudig. Und jeder, der sich in den sozialen Netzwerken gegen die Vertreter des Kaltlands engagiert, weiß, wie mühsam und manchmal schmerzhaft diese Diskussionen meistens sind. Führen sollte man sie trotzdem, wenn nicht sogar gerade deshalb.

Kapitän Schwandt - Sturmwarnung

© Ankerherz Verlag

Dass ich am Ende meines Lebens beobachten muss, dass manche braunen Geister, die mir den Start in mein Leben versaut haben, plötzlich wieder einen Zulauf bekommen, den niemand mehr für möglich hielt, erfüllt mich mit Sorge. Den neuen Rechten und Rechtsradikalen möchte ich mich mit meinen Kolumnen entgegenstellen. Jeder Demokrat sollte dies tun.

Warum sich Jürgen Schwandt dem Facebook-Sturm aussetzt, statt das gemütliche Pensionärsdasein im schönen Hamburg zu genießen, erzählt er ausführlich in seinem Buch. Geboren im Jahr 1936, gehören die Bombennächte in Hamburg zu seinen frühesten Erinnerungen. In den ersten Nachkriegsjahren trug er selbst zur schwierigen Versorgung der Familie bei, sein Vater, Soldat und ein ranghoher, überzeugter Nazi, war in Gefangenschaft und selbst nach seiner Rückkehr keine große Hilfe. Mit ihm lieferte sich der junge Schwandt erbitterte Auseinandersetzungen über dessen Gesinnung, die sich auch nach dem Krieg nicht geändert hatte. So manifestierte sich schon früh die Sehnsucht nach der Ferne: „Ich wollte raus. Ich wollte weg.“

Das Meer ist mein Zuhause.

Im Sommer 1952, im Alter von 16 Jahren, heuerte Schwandt als Schiffsjunge auf der Argonaut an, einem kleinen Gaffelsegler Baujahr 1883 mit einem knurrigen Kapitän, dessen Geiz die Seeleute vor harte Bewährungsproben stellte und das Schiff in einen fragwürdigen Zustand versetzte. Alles, was halbwegs seetüchtig war, wurde von den Alliierten als Reparationszahlung eingezogen, entsprechend präsentierte sich die deutsche Seefahrt in den Nachkriegsjahren.

Hamburger Hafen

Hamburger Hafen

Doch Schwandt arbeitete sich stetig und mit Leidenschaft nach oben, und auch wenn die Lehrjahre hart waren, blieb das Leben auf See seine große Leidenschaft. Weit entfernt von jeglicher Seefahrerromantik, beschreibt er den extrem harten Alltag der Matrosen auf See, die manchmal exzessiven Landgänge („Viel Bier war viel gut gegen Malaria“), Schmuggeleien und lebensgefährliche Stürme vor allem auf dem Atlantik.

Die Natur ist ganz nah, man bewegt sich darin wie ein Elementarteilchen, und jeder, der eine Seele in sich findet, spürt, Teil eines großen Ganzen zu sein. Und er empfindet einen tiefen Respekt vor der Majestät und der Macht des Ozeans.

Kapitän Schwandt bereiste die ganze Welt, lernte fremde Kulturen kennen, musste sich mit den manchmal schwierigen Hafenarbeitern herumschlagen und lernte schnell, das ‚Deutsch sein‘ aus einer ganz anderen Perspektive zu sehen. Vor allem ein Besuch in Israel prägte ihn nachdrücklich, was eine der Erklärungen für seinen heutigen Kampf darstellt: „Solange noch ein einziger KZ-Häftling lebt, solange es Menschen gibt, die ihre Eltern, Großeltern, Onkel und Tanten in der Shoa verloren haben, in Auschwitz, Buchenwald, Majdanek und Theresienstadt, werde ich hinnehmen, als Deutscher gehasst zu werden. Was geschah, ist aus meiner Sicht niemals zu vergessen. Und auch nicht zu verzeihen.“

Trier_Nazis Raus

Ich habe „Sturmwarnung“ förmlich verschlungen und empfinde tiefen Respekt für den Menschen Kapitän Schwandt. Es wird deutlich, wie schwer für den Seebären der Wechsel aufs Festland gewesen sein muss, zu dem er sich zugunsten seiner Familie durchgerungen hatte, auch wenn er seinem Meer und den Männern als Beamter der Zollverwaltung stets nahe blieb. So schonungslos, wie er mit sich selbst und den negativen Seiten seiner Vita umgeht, so deutlich und mit klaren Worten benennt er die Übel unserer Zeit. Er zeigt Haltung, und jeder muss und sollte sich selbst hinterfragen, warum man diesen Kampf einem Achtzigjährigen überlässt, und was man vielmehr selbst tun könnte. Geht auf die Straße, unterstützt Initiativen, informiert euch und kämpft mit allem was ihr habt gegen die braune Brut, die heute wieder mitten in der bürgerlichen Gesellschaft angekommen ist. Zeigt Haltung, Kapitän Schwandt ist hierfür ein wunderbares Vorbild!

Nur Rassisten konnte ich nie leiden, ich verachte sie, denn einen Menschen nach der Pigmentierung seiner Haut zu beurteilen, ist eines der dümmsten Verhalten. Unter der Haut, so viel steht fest, sind alle Menschen gleich.

Stefan Kruecken: Das aufregende Leben von Kapitän Jürgen Schwandt.

  • Originalausgabe, Ankerherz Verlag
  • 192 Seiten
  • vierfarbig mit zahlreichen Fotografien und Illustrationen
  • Hardcover mit Schutzumschlag
  • Leineneinband
  • Fadengebunden mit Lesebändchen
  • Preis: 29,90 €
  • ISBN: 3945877008

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