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Zum zweiten Mal gab der seit vielen Jahren in Köln lebende kanadische Pianist Chilly Gonzales ein Konzert in Luxemburg. Nach der Rockhal öffneten sich ihm nun die Tore der herrlichen Philharmonie auf dem Kirchberg und den Zuschauern im ausverkauften Haus wurde ein berauschender Abend geboten.

Chilly Gonzales & Kaiser Quartett © 2015 Alexandre Isard @ www.chillygonzales.com

Chilly Gonzales & Kaiser Quartett © 2015 Alexandre Isard (www.chillygonzales.com)

Etwas erstaunt hatten wir zur Kenntnis genommen, dass die ersten drei Reihen des großen Saals der Philharmonie wohl aus optischen wie akustischen Gründen nicht zur teuersten Preiskategorie gehörten und so kamen wir in den Genuss, das Konzert aus der ersten Reihe zu sehen und den Musikern wirklich hautnah auf die flinken Finger sehen zu können. Eine tolle Erfahrung!

Zusammen mit dem Kaiser Quartett betrat Chilly Gonzales, gewandet in Nobelbademantel und Edelpantoffeln, die Bühne und begann mit wundervoll entspannenden Liedern aus seinem aktuellen Album Chambers. Von Beginn an stach besonders das präzise Zusammenspiel des Pianisten mit seinen Mitmusikern auf, denen er alle Möglichkeiten zur Entfaltung gab. Schnell änderte sich allerdings die Grundstimmung des Konzerts und der bald schweißgebadete Chilly Gonzales demonstrierte, warum er einer der vielseitigsten und faszinierendsten Künstler seiner Zeit ist. Musikalische Grenzen scheint es nicht zu geben, und wenn doch, dann gehören sie einfach niedergerissen. So pendelte sein Vortrag zwischen Klassik, Jazz, Pop und Rap, was den Abend zu einem sehr kurzweiligen Vergnügen machte.

Das selbsternannte „Musical Genius“ ist auf der einen Seite ein fantastischer Musiker, auf der anderen Seite aber auch ein grandioser Entertainer mit musikalischem Lehrauftrag. Selbst die für Außenstehende verwirrende Sprachenvielfalt in Luxemburg konnte er gekonnt umschiffen und wechselte oftmals innerhalb eines Satzes zwischen Deutsch, Englisch und Französisch und hatte sichtlich Spaß an dieser kleinen Spielerei. Zu erzählen gab es dabei einiges und er gab Einblick in sein musikalisches Selbstverständnis im Spannungsfeld zwischen E- und U-Musik. Der Versuch, das Kaiser Quartett wie eine elektronische Drum-Machine klingen zu lassen, sollte demonstrieren, dass das Ideal der Perfektion unerreichbar bleiben muss, im besten Falle aber im Scheitern Poesie zu entdecken sei, eine Poesie, die sich an diesem Abend jedem der begeisterten Zuschauer unmittelbar erschloss. Unterstützt wurde man dabei noch von Schlagzeuger Joe Flory, der sich angenehm zurückhielt, aber wenn er gebraucht wurde, mit Schlagwerk und sogar Trompete zur Stelle war.

Gegen Ende des Konzerts gab es dann noch eine musikalische Entschuldigung. Mit „(Not a) Musical Genius“ entschuldigte sich der Künstler für sein Vorauspreschen am Beginn seiner Karriere, das den Menschen schlicht die Chance genommen hätte, selbst zu dieser Erkenntnis zu kommen. Vielleicht ist Chilly Gonzales nicht der technisch präziseste oder genialste Pianist seiner Zeit, doch sein Zugang zur Musik, seine Bereitschaft, Neues auszuprobieren ohne Rücksicht auf Konventionen und Regeln, das hat wirklich etwas Genialisches und macht diesen Musiker zu einer einzigartigen Figur. Schlicht und ergreifend ein begeisternder Abend!

Hier gibt es noch eine lesenswerte Konzertkritik aus dem Luxemburger Wort

Für 2016 hat Chilly Gonzales ein längeres Sabbatical angekündigt. Im Januar gibt es in Hamburg noch die seltene Gelegenheit, die Ergebnisse seiner Zusammenarbeit mit dem nicht minder großartigen Jarvis Cocker (Pulp) auf der Bühne zu erleben. Tickets dürfte es allerdings nur für die ganz Schnellen geben (22.–24. Januar, Kampnagel – K2).

 

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