Ganz schön unwirklich. Vorgestern noch stand ich auf dem matschigen Acker am Losheimer See, heute sitze ich viele hundert Kilometer entfernt in lauer sizilianischer Nacht bei einem Glas Wein auf der Terrasse und versuche die letzten Tage Revue passieren zu lassen. Das Hexentanz Festival gehört seit langem zu den festen Terminen in meinem Jahresablauf. In diesem Jahr feierte man das zehnjährige Jubiläum, für mich war es immerhin das siebte Mal in Folge. Eine Konstante ist das Wetter, denn vor allem seit man vor drei Jahren vom Bostalsee nach Losheim umgezogen ist, straft der Wettergott die Veranstalter sowie das leidensfähige Publikum mit Kälte und Regen.
So richtig stand das diesjährige Festival für mich unter keinem guten Stern. Vor dem bevorstehenden Urlaub gab es noch einen großen Berg abzuarbeiten, so richtig hat mich das Lineup auf den ersten Blick nicht überzeugt und dann auch noch das typische Hexentanzwetter. Die dem Festival vorausgehende Walpurgisschlacht habe ich mir trotz Karte daher diesmal geschenkt. Eigentlich wollte ich mir nach der Arbeit noch Fiddler’s Green und Arch Enemy ansehen, doch ich konnte mich angesichts des strömenden Regens nicht aufraffen. Somit machte ich mich am Maifeiertag auf den Weg ins Saarland und freute mich auf ein Wiedersehen mit vielen alten musikalischen Bekannten.
Tag 1: Klassentreffen
Selbst wenn ich mir frühzeitig keine Festivalkarte gegönnt hätte, wäre der 1. Mai dennoch ein Pflichttermin gewesen. Viele Bands, die mich auf meiner musikalischen Sozialisation begleitet haben, gaben sich innerhalb weniger Stunden gewissermaßen die Klinke in die Hand. Pünktlich zu Die Kammer erreichte ich das Gelände und bewältigte den diesmal sehr aufwendigen Sicherheitscheck. Zwar hatte ich bis auf ein paar Stücke bislang recht wenig von ihnen gehört, doch die Musiker versprachen musikalische Feinkost. Marcus Testorys Stimme hat mich schon bei Chamber sehr berührt und mit dem ehemaligen ASP-Mitstreiter Matze Ambré habe ich mir vor Urzeiten schon einmal bei einem Grillfest die Nacht um die Ohren geschlagen. Mit dem Ex-ASP-Trommler Oliver Himmighoffen sitzt ein weiterer alter Bekannter am Schlagwerk und zusammen mit Streichern und Tuba entwickelt sich schnell ein stimmungsvolles Konzert, das nicht nur von der bekannten Melancholie, sondern auch von viel guter Laune geprägt war.
Zu den Hexentanz Urgesteinen gehören auch Coppelius, die ich unzählige Male live gesehen habe und die mich noch nie enttäuscht haben. Zwar hatte ich noch keine Gelegenheit in das aktuelle Album Hertzmaschine hineinzuhören, die auf dem Hexentanz präsentierten Stücke wussten aber zu gefallen. Angereichert mit vielen alten Gassenhauern lieferten die Herren einen formidablen Auftritt ab.
Und dann kam Tanzwut und ich hatte etwas Angst. Nicht vor dem Teufel, den ich vor einigen Jahren einmal interviewen durfte und der ein sehr feiner Kerl ist, sondern eher Angst vor der Enttäuschung. Tanzwut gehören zu den Bands, die mich in die „Szene“ eingeführt haben, deren Konzerte ich lange förmlich in mich aufgesogen habe und zu denen ich nach einigen Bandumbrüchen nie wieder ein so intensives Verhältnis entwickelt habe wie zuvor. Gut, da gibt es noch andere Bands, mit denen es mir ähnlich geht, dazu später mehr. Nichtsdestotrotz war der Auftritt in Losheim gelungen und meine Angst war unbegründet. Zwar fehlt mir immer noch die Magie von früher, aber ich bin ja auch älter geworden und vielleicht liegt es einfach an mir. Die Stimmung vor der Bühne war ausgezeichnet, musikalisch gab es nix zu meckern und geboten wurde ein Querschnitt durch alle Schaffensperioden. Da konnte ich mich dann doch entspannt zurücklehnen und den Auftritt genießen.
Aber Zeit zum Durchatmen blieb gar nicht, denn schon kündigten sich Mono Inc. an. Nach dem Akustikkonzert in Hamburg war ich gespannt, wie sich der hanseatische Vierer nun wieder in gewohnten Gefilden schlägt. Schlechte Konzerte habe ich von Mono Inc. eigentlich noch nie gesehen. Gut ist es dann auch, wenn man mit Heile, Heile Segen den meines Erachtens übelsten Song der Bandgeschichte gleich zu Beginn spielt. Überhaupt habe ich immer dann Probleme, wenn Martin Engler deutsch singt, womit ja erst beim letzten Album begonnen wurde und was nun auch wieder bei mehreren Songs des kommenden Albums Terlingua so kommen wird. Ein paar Kostproben gab es bereits auf dem Hexentanz zu hören und so richtig vom Hocker gerissen hat mich das bislang nicht. Hoffentlich wird der Rest des Albums wieder etwas rockiger und ohne den klebrigen Pathos den die deutschsprachigen Lieder verströmen.
Zu später Stunde rundeten Schandmaul den ersten Tag ab. Die hatte ich 2012 im Exhaus zuletzt gesehen und viel geändert hatte sich (zum Glück) nicht. Schandmaul sind eine richtig gute Liveband, die es schaffen, auf jegliche Generationen und die unterschiedlichsten Musikgeschmäcker einzuwirken. Ein gelungener Abschluss des Tages, bei dem es zwar stetig regnete, aber zum Glück nicht schüttete, was so der Stimmung keinen Abbruch tat.
Tag 2: Es wird lauter!
Auch der zweite Hexentanztag bot wieder einige Bands auf, die das Festival schon lange begleiten. Zum ersten Mal am Start waren allerdings Staubkind, die ich im Jahr 2007 als Vorgruppe von The Birthday Massacre einmal in Saarbrücken gesehen, dann aber aus den Augen verloren habe. Als Support des unheiligen Grafen sind sie danach auch einem größeren Publikum bekannt geworden, was sich (leider) auch musikalisch ausgewirkt zu haben scheint. Kitschige Texte, seichte Melodien, nee, das war nix für mich. Zum Schluss wurde dann noch einmal in der Mottenkiste gekramt und der ein oder andere Klassiker ausgepackt, der mich daran erinnerte, dass ich Staubkind 2007 gar nicht so übel fand.
Ganz andere Klänge lieferten dann Lord of the Lost aus Hamburg ab. Klassischer Gothicrock wurde mit ordentlich Dampf auf das Festivalgelände geblasen. Man merkte den Jungs an, dass sie gerade eine lange Akustiktour beendet haben und nun richtig Bock auf Krach hatten. Sicherlich nicht jedermanns Sache, aber mich hat es durchaus überzeugt. Muss ich mir mal genauer angucken.
Danach hielt dann der Schabernack Einzug, denn Feuerschwanz kündigten sich an, die von den zehn Hexentanz Festivals sage und schreibe sieben mitgenommen hatten. Organisator Frank Schulz weiß genau, warum er die Bande um Hauptmann Feuerschwanz und Prinz Hodenherz immer wieder bucht, denn Stimmung ist garantiert. Für mich persönlich ist das alles ja immer eine Spur zu albern, aber irgendwie reißt einen die Show mit Met und Miezen dann doch irgendwann mit. Gute Unterhaltung, die richtige Band am richtigen Ort, Da muss man den Helm vor ziehen!
Einen viel krasseren atmosphärischen Umschwung hätte man sich danach kaum vorstellen können. Nach der Mittelalterparty hielten Kälte und Melancholie wieder Einzug und das Publikum vor der Bühne wurde geradezu komplett ausgetauscht. Auf Diary of Dreams hatte ich mich besonders gefreut und daher war ich gleich etwas skeptisch, den statt des erwarteten Quartetts betraten nur drei Musiker die Bühne.
Schnell folgte die Erklärung, denn Gitarrist Gaun:A lag krank im Bett, aber eine Absage kam nicht in Frage. Gut so, denn das Konzert war gewohnt großartig. Es ist wirklich beeindruckend, wie viel Atmosphäre man ohne aufwendige Lichtshow, Pyrotechnik oder Verkleidungen nur durch die Kraft der Musik und die eindringliche Stimme von Adrian Hates auf die Bühne zaubern kann. Die manchmal kalt wirkende Musik, in der doch immer wieder die Hoffnung aufblitzt, fasziniert mich seit vielen Jahren und auch wenn Diary of Dreams in düsteren Clubs vielleicht besser aufgehoben sind als auf taghellen Festivalbühnen, war das Konzert sicher eines wenn nicht sogar das Highlight des Festivals.
So ganz sicher war ich mir nicht, ob ich mir den folgenden Auftritt von ASP zum Abschluss des Festivals überhaupt noch ansehen sollte. Was ich schon bei Tanzwut andeutete, trifft auf ASP fast noch mehr zu. 2005 hatte ich den Schwarzen Schmetterling zum ersten Mal im Kramladen in Kaiserslautern gesehen und von da an zahlreiche Konzerte erleben dürfen, die mich immer wieder sehr mitgerissen haben. Doch spätestens mit dem Abgang von Gitarrist Matze Ambré (s.o.) verlor die Band für mich viel von ihrer Magie und auch die in der Folge erschienenen Alben konnten mich nicht mehr so begeistern wie die früheren Werke. Das schlug sich auch in den Konzerten nieder und so war ich skeptisch, was mich nun erwarten würde. Soviel sei gesagt, ASP haben diesmal einen deutlich kraftvolleren Auftritt hingelegt als beispielsweise auf dem Hexentanz 2012. Die Band wirkt nun wieder geschlossener, auch wenn Gitarrist Lutz Demmler das Konzert aufgrund einer Knieverletzung im Sitzen bestreiten musste. ASP begannen zu Beginn mit einem längeren Medley, was gut passte und ein großer Gegensatz zu den manchmal doch etwas sperrigen Songs war. Von da an ging es quer durch die Bandgeschichte und ich blieb dann doch dabei und trat nicht die vorzeitige Heimreise an. Der gute ASP hatte es also mal wieder geschafft mich zu überzeugen.
Das Jubiläumsfestival hatte letztendlich doch noch halbwegs Glück mit dem Wetter, denn nach der verregneten Walpurgisschlacht wurde es stetig besser. Ich mag den Hexentanz einfach. Ein kleines, gemütliches Festival mit netten Menschen und einer ordentlichen Bandauswahl, auch wenn sich regelmäßige Besucher dann doch etwas mehr Frischfleisch wünschen würden. Etwas schade ist das traurige Dasein des Mittelaltermarktes vor den Toren des Festivalgeländes, das war am Bostalsee wesentlich gemütlicher. Etwas genervt hat diesmal auch die ständig über das Gelände patrouillierende Security, die einen mit Argusaugen beobachtete. Das fand ich bei so einem kleinen und friedlichen Festival dann doch etwas arg übertrieben. So freue ich mich dann doch wieder auf das 11. Hexentanz Festival, das 2016 vom 28. bis 30. April stattfinden wird.