Das Brauereiensterben hat auch vor den Metropolen nicht haltgemacht. Die einst eindrucksvolle Anzahl an Braustätten in Hamburg hat sich auf eine Anzahl reduziert, für deren Zählung zwei Hände locker ausreichen. Doch wie derzeit in ganz Deutschland gibt es auch hier Licht am Ende des Tunnels der Mainstreambiere für den Mainstreamgeschmack. Die Craft-Beer-Szene wirbelt die konservative Bierlandschaft gehörig durcheinander und in Hamburg gibt es bereits mehrere Kleinbrauereien, die ihren Traum von der Biervielfalt leben. Eine davon ist die Ratsherrn Brauerei, die im trendigen Schanzenviertel mit einem schlüssigen Gesamtkonzept voll und ganz überzeugt. Und außerdem großartige Biere macht.
Der Schock, dass es an der Hotelbar Bitburger zu trinken gibt, saß tief, es musste also offensiv nach lokalen Spezialitäten gesucht werden. Da bot sich eine Brauereiführung in der Ratsherrn Brauerei an, nachdem ja selbst Astra schon in vielen Trierer Getränkemärkten zu erwerben ist.
Der Weg zur Brauerei führt durch den angegliederten Craft Beer Store, der dem Bierfreund Tränen der Rührung in die Augen treibt. Die Vielfalt der schnöden Getränkeläden in Augsburg hat mich ja schon hyperventilieren lassen, aber hier wird das Ganze noch auf eine internationale Ebene gehoben. Geschmack, nicht Herkunft oder die Fixierung auf einen bestimmten Bierstil, ist entscheidend.
Ein Hauch von Tradition
Für viele Nordlichter ist Ratsherrn Bier noch ein Begriff. Das Ratsherrn Pils war als Produkt der Elbschloss Brauerei bekannt, wurde dann aber im Big-Beer-Business zerrieben und verschwand schließlich von der Bildfläche, nachdem das Bundeskartellamt die Holsten Brauerei, der die Marke mittlerweile gehörte, im Jahr 2005 aufgefordert hatte, ihr Portfolio zu reduzieren. Die Markenrechte wurden 2005 von der Nordmann Unternehmensgruppe erworben und man sah wenig Sinn darin, weiter ein klassisches norddeutsches Bier auf dem hart umkämpften Biermarkt zu platzieren. Letztendlich entschloss man sich zum radikalen Schnitt und setzte auf das startende Zugpferd Craft Beer. Mit einer jungen und motivierten Mannschaft braut man nun in den Schanzenhöfen ambitionierte Biere, die es tatsächlich geschafft haben, auch den sehr konservativen Markt der Gastronomie nach und nach zu erobern. Biere traditioneller Prägung, wie beispielsweise ein Pils, stehen ebenso auf dem Programm wie ein Lager oder ein Rotbier, die das teutonische Geschmacksempfinden zwar reizen, aber nicht überfordern. Richtig Spaß hat man dagegen an ambitionierten Neuprägungen, die eher internationalen Bierstilen verpflichtet sind. Biere belgischer Brauart oder Biere aus dem modernen britisch-amerikanischen Umfeld setzen Reizpunkte und gerade die verspielten und limitierten Spezialbiere machen deutlich, dass man hier richtig Spaß am Experimentieren hat.
Bier als Gesamtkunstwerk
Die Voraussetzungen in den Räumlichkeiten in den Schanzenhöfen sind bestens. Im Vergleich zu vielen anderen neuen Kleinbrauereien wird geklotzt, nicht gekleckert. Eine moderne und durchaus großzügig proportionierte Braustätte besteht neben einer kleinen Experimentalbrauerei, in dem die Braumeister, darunter ein Amerikaner, neue Sude erproben können, bevor diese es auf den Markt und in die großen Kessel schaffen. Im Craft Beer Store kann man sich mit interessanten Bieren aus der ganzen Welt vertraut machen. Darüber hinaus gibt es das Braugasthaus „Altes Mädchen„, in dem man zünftig und gemütlich essen und trinken kann. Der Erfolg gibt den Machern recht. Wert gelegt wird hierbei auf ein nachhaltiges Konzept. Die Produkte im Restaurant kommen so weit wie möglich aus biologischem Anbau. Innerhalb der Schanzenhöfe arbeitet man gerne mit den Anbietern in der Nachbarschaft zusammen und richtet immer wieder Veranstaltungen aus, um den Menschen die eigene Bierphilosophie nahezubringen.
Die Biere
Es gibt zwei sehr gute Möglichkeiten, sich mit den Bieren der Ratsherrn Brauerei vertraut zu machen. Zum einen werden an jedem Werktag mehrere Brauereiführungen angeboten, wobei auch das Probieren nicht zu kurz kommt. Zum anderen bietet das Alte Mädchen die Möglichkeit, alle regulären Ratsherrn Biere vom Fass zu genießen und darüber hinaus eine eindrucksvolle Auswahl an Craftbieren aus der ganzen Welt zu probieren. Ideal für Einsteiger und echte Biernerds.
Bei der kleinen Bierprobe im Rahmen der Brauereiführung gab es mit dem Rotbier und dem Lager zwei sehr süffige Biere mit Tiefgang . Daneben bekam man mit dem Westküsten IPA einen Eindruck von der Kreativität des Brauteams, was einige Teilnehmer sichtlich überraschte. Gleich eingepackt wurde die Lieblingsbox mit vier Bieren, wodurch ich auch das Weißbier testen konnte, das ebenfalls zu gefallen wusste. Vollmundig, dicht, aber nicht ganz so spektakulär wie einige andere Biere aus dem Portfolio. Bemerkenswert ist die lange Tradition von Weißbier in der Hansestadt, die bis ins 14. Jahrhundert zurückreicht.
Im Restaurant probierte ich am nächsten Tag den fassfrischen und überaus soliden Zwickel sowie das sehr überzeugende Pale Ale. Auch das IPA fand erneut den Weg ins Glas und ich war wieder absolut angetan. Zum Abschluss bewegte ich mich mit dem Aventinus auf einen Pfad jenseits des Ratsherrn Angebots; ein Weizendoppelbock aus dem Fass von Schneider Weisse aus München. Völlig verrücktes Zeug und ein würdiger Abschluss des Tages.
Ein absolutes Highlight stellt der Senatsbock dar, ein Gemeinschaftsprodukt von fünf Hamburger Brauereien (neben Ratsherrn noch Blockbräu, Joh. Albrecht, Gröninger und Kehrwieder). Hierdurch wurde eine alte Hamburger Tradition wiederbelebt, die bis in die Fünfziger zurückreicht.
Der tiefdunkle Bock mit 7,7 % Alkohol kommt mit einer kräftig malzig-nussigen Note ins Glas und bietet eine überwältigende Fülle und Kraft, bleibt dabei aber erstaunlich süffig. Zu gerne hätte ich den in der alten Augsburger Tradition einmal gestachelt, die Karamellnoten nach dem Eintauchen des glühenden Metalls hatte ich fast schon in der Nase. Aber auch so ein geniales Bier, von dem ich mir bald noch etwas Nachschub ordern werde, bevor es vergriffen ist.
In Sachen Bier hält Hamburg sicherlich noch einige Überraschungen bereit. Eine junge, kreative Brauerszene macht sich auf, die typisch norddeutsche Dominanz an herben Pilsvarianten zu durchbrechen oder zumindest den konservativen Biertrinkern einen neuen Blickwinkel auf eines der vielseitigsten Lebensmittel überhaupt zu eröffnen.
Mehr Infos: www.ratsherrn.de
In letzter Zeit habe ich ja immer wieder über das Thema Bier geschrieben. Die Artikel findest du hier.