Auch wenn es nun schon einige Tage her ist, wirkt der fantastische Auftritt von Nick Cave und seinen Bad Seeds in der Rockhal von Esch/Belval immer noch nach. Eine volle Halle, toller Sound und eine Band in meisterhafter Spiellaune machten den Abend zu einem besonderen Erlebnis. So gut hatte ich Nick Cave und seine Mitstreiter noch nie gesehen.
Die Escher Rockhal ist wirklich eine besondere Halle, auch wenn sich der Charme der brachliegenden Stahlwerke durch den rasanten Ausbau des Stadtteils Belval zur Boomtown nicht mehr so gut entfalten kann. „Luxembourgs dumping ground for dead bodies“ hatte Nick Cave bei seinem letzten Auftritt in Luxemburg das von morbidem Charme geprägte Areal noch genannt, heute wirkt alles viel moderner, wenn auch immer noch irgendwie unfertig und unbelebt.
Für Leben sorgten die zahlreichen Zuschauer, die dem Ruf des Meisters gefolgt waren und mit einem berauschenden Konzert belohnt wurden. Die Rockhal war gefühlt ausverkauft, ich weiß nicht, ob im Vorfeld noch Karten zu bekommen waren. Dennoch war wie immer alles bestens organisiert. Der Einlass war pünktlich, ging rasch voran und innen warteten zahlreiche Essensstände und eine großzügige Bar auf die Besucher. Lange Wartezeiten gab es nirgendwo und alles war entspannt und voller Vorfreude.
Als Vorgruppe angekündigt waren Shilpa Ray & Her Happy Hookers, doch die Bühne enterte lediglich eine kleine, zierliche Person, die sich von einzelnen Spots angestrahlt hinter ihr Harmonium setzte und zu singen begann. Shilpa Ray hatte die Happy Hookers zuhause gelassen und so lag es an ihr allein, die große Bühne auszufüllen. Und das gelang ihr zu Beginn ganz gut. Das Harmonium, vom Sound her am ehesten mit einem Akkordeon zu vergleichen, sorgte für einen sphärisch wabernden Soundteppich, was erstaunlich gut zu Shilpa Rays ausdrucksstarker Stimme passte. Ihre Lieder drückten ein Maß an Verzweiflung und Wut aus, das bedrückend, aber auch faszinierend wirkte. Die Sängerin beherrscht die leisen Töne ebenso wie wütendes Geschrei voller Inbrunst. Leider sorgte die wenig abwechslungsreiche Instrumentierung bei vielen recht bald für Ermüdung, eine ganze CD kann man sich wohl nur allein mit einer Flasche Rotwein und viel schlechter Laune anhören. Auch in einem kleinen Club mag diese Musik eine eigentümliche Magie entwickeln, aber in einer riesigen Halle voller Menschen konnte sich der Zauber kaum entfalten. Mit ihrer Band würde ich mir Shilpa Ray aber gerne noch einmal ansehen.
Die Umbaupause hielt sich danach in Grenzen und pünktlich um 21 Uhr enterten Nick Cave & The Bad Seeds die Bühne. Optisch immer irgendwie an der Grenze zwischen Landstreicher und Dandy wandelnd, belegten die sieben musikalischen Grenzgänger ihren Platz auf der Bühne und los ging es mit „We No Who U R“, dem Eröffnungssong des großartigen aktuellen Albums „Push The Sky Away“. Von Beginn an fällt der satte, hervorragend abgemischte Sound auf. Jedes Wort des Sängers ist glasklar zu verstehen und man kann die oftmals düsteren Texte des Australiers nicht nur mitfühlen, sondern den Geschichten Wort für Wort zuhören. Auf den eher ruhigen Opener folgte mit „Jubilee Street“ der zweite Song des Albums und das Tempo wurde merklich angezogen, bevor man mit dem Klassiker „Tupelo“ zum ersten Mal ein akustisches Inferno über die Rockhal hereinbrechen ließ. Schon immer hatte die Bad Seeds ausgezeichnet, Gefühle perfekt in ein akustisches Kleid zu packen und spielerisch von reduzierten melancholischen Sequenzen zu purer Aggression und infernalischem Lärm wechseln zu können.
Nick Cave selbst wirkt zu Beginn noch etwas angespannt, streift wie ein angeschossenes Wild über die Bühne und zuckt in den für ihn typischen, eigentümlichen Tanzbewegungen. Cave lebt seine Lieder, die nicht nur die Zuhörer in emotionale Ausnahmezustände versetzen können. Mit der Zeit wird Cave lockerer, plaudert zwischen den Liedern und zeigt sich erstaunlich volksnah. Vor der ersten Reihe hat er ein kleines Podest aufgestellt, auf dem er sich immer wieder über seine Anhänger erhebt und auf Tuchfühlung geht. Hände werden geschüttelt, sein Herzschlag gefühlt, für die Fans ganz vorne sicher ein besonderes Erlebnis.
Musikalisch lässt das Konzert keine Wünsche offen. Zwar liegt der Fokus wie üblich auf dem aktuellen Album, doch im Laufe der zwei Stunden bietet die Band einen Querschnitt aus dem eindrucksvollen Gesamtwerk der letzten 30 Jahre. „From Here to Eternity“ stammt tatsächlich aus dem Jahr 1984, wirkt aber in seiner Wucht irgendwie zeitlos, eher aus der Zeit gefallen. Apropos Wucht: Es entlockt einem echten Bad Seeds-Fan nur ein müdes Lächeln, wenn man sich so manche Jungrocker-Combo in ihrem verzweifelten Bemühen böse und aggressiv zu wirken zusieht. Sieben Männer in den besten Jahren zaubern hier eine finstere Kraft auf die Bühne, die einen mit offenem Mund zurücklässt, vom Krach mal ganz zu schweigen. Caves genialer musikalischer Partner Warren Ellis an der Teufelsgeige führt eine Band, die musikalisch über jeden Zweifel erhaben ist. Es ist eine Wonne, Jim Sclavunos am Schlagzeug zu beobachten, wie er geduckt und mit leicht wahnsinnigem Blick die Felle bearbeitet und für ein enorm kraftvolles Fundament sorgt. Unnötiges Posing haben die sechs Musiker nicht nötig, die sich im Verlaufe des Konzerts kaum von ihrem Platz bewegen. Lediglich Warren Ellis nutzt immer wieder einen Stuhl als Plattform oder Abschussrampe für wilde Sprünge, wenn er ihn bei den ruhigeren Passagen nicht gerade als Ruhestätte gebraucht.
Höhepunkt des Konzerts war für mich mein Bad-Seeds-Lieblingssong. „The Mercy Seat“ sorgt immer für Gänsehaut bei mir und es ist immer wieder ein Erlebnis, dieses Lied mit seiner sich stetig steigernden Intensität live erleben und erleiden zu dürfen. Aber auch neue Songs sorgten für Begeisterung wie der großartige „Higgs Boson Blues“ oder das sphärische „Push The Sky Away“, das den offiziellen Teil des Sets abschloss. Doch es gab natürlich noch einen längeren Zugabenblock, bevor die glorreichen Sieben nach ziemlich exakt zwei Stunden die Bühne verlassen. Zurück lassen sie glückliche Zuschauer, die sich bewusst sein dürften, dass sie einen ganz besonderen Abend mit einer Band auf dem Zenit ihrer Schaffenskraft erleben durften.